Vom 30. September bis zum 2. Oktober tagt die zweite Vollversammlung des "Synodalen Weges" in Frankfurt. Hierfür hat das Synodalpräsidium einen wegweisend gemeinten "Orientierungstext" samt Präambel publiziert (nachfolgend als OT und P zitiert; die Ziffern verweisen auf die jeweiligen Abschnitte). Vom Umfang her erinnert das Hauptpapier an eine Konzilskonstitution und ist feierlich, umständlich wie selbstbewusst verfasst. Aufmerksam gelesen werden sollte es trotzdem. Biblische Texte wie päpstliche Worte werden aus dem jeweiligen Zusammenhang herausgelöst, konstruktivistisch in eigene Fantasien eingefügt und als illustrative Autoritätsargumente verwendet, während beständig ein diffuses Verständnis von Synodalität gegen kirchliche Autoritäten gesetzt wird. Das Zweite Vatikanische Konzil wird in der Präambel zwar beschworen: "Wir sind geprägt durch das Zweite Vatikanische Konzil, auch wenn die meisten von uns es selbst nicht mehr erlebt haben." (P, 2), aber im "Orientierungstext" missverstanden: "Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist eine andere Zeit in der Kirche angebrochen." (OT, 56) Wer das Zweite Vaticanum, wie hier, als Bruch mit dem Ersten Vaticanum und als Neuerfindung der Kirche versteht, denkt und argumentiert konzilswidrig. Dieser synodale "Orientierungstext" schenkt mitnichten Orientierung, sondern stiftet einzig Verwirrung.

Die biblische Anthropologie wird relativiert, missverstanden und faktisch ausgehebelt: "Die Bibel ist allerdings auch ein Buch, das vielen Menschen schwer zugänglich ist. Sie ist in der Sprache einer vergangenen Zeit geschrieben. Sie spiegelt ein Weltbild, das untergegangen ist." (OT, 18) Weiterhin wird betont: "Die Bibel schreibt das Weltbild, die Geschlechterrollen, die Wertvorstellungen der Antike, in der sie entstanden ist, nicht fest. Vielmehr durchdringt und verändert sie die herrschenden Konventionen, um Raum für Gott zu schaffen. Die Bibel ist auch in diesen Veränderungsprozessen zeitgebunden. … Ihr Zeugnis für das Evangelium muss allerdings immer wieder gegen Versuche verteidigt werden, mit Berufung auf die Bibel Menschen zurückzusetzen, zu beherrschen und zu diskriminieren, die anders glauben und anders leben, als es den Normen der Kirche entspricht." (OT, 23) Das biblisch fundierte christliche Menschenbild steht aber in fundamentalem Gegensatz zu der hedonistischen Lebenswirklichkeit der Antike, betont die Würde und die Rechte der Frau, ist sowohl der Sklavenhaltergesellschaft als auch dem römischen Recht, das dem Familienvater die Kindstötung vorbehält, entgegensetzt, ebenso der herrschenden Praxis der Päderastie in der hellenischen Welt. Was in diesem "Orientierungstext" über die Heilige Schrift formuliert ist, steht zudem im Kontrast zur Konzilskonstitution "Dei Verbum". 

Das Synodalpräsidium bekennt sich immerfort zum Dialog und zu "neueren Erkenntnissen" (OT, 2) – gemeint sind durchgängig die sogenannten Humanwissenschaften Michel Foucaults (etwa OT, 26). So lebe der "Synodale Weg" auch "von der Bereitschaft, sich neuen Einsichten zu öffnen und sich von ihnen bestimmen zu lassen" (OT, 3). Die dezidierte Gefolgschaft gegenüber scheinbar absolut gültigen Theorien wird freimütig bekannt. "Die Theologie" – wer immer dafür stehen mag – ersetzt hier offenbar das Lehramt der Kirche: "Es darf keine Tabus geben, keine Denk- und Sprechverbote, keine Angst vor Sanktionen oder Diskriminierungen. Wenn es Entscheidungen gibt, müssen sie gut begründet sein. Hier fällt der Theologie eine Schlüsselrolle zu." (OT, 8) Was leistet also "die Theologie"? In diesem Papier finden sich dafür reichlich unklare Aussagen aus dem Raum der Theologie heute, etwa über den "Verheißungsüberschuss": "Kein Ort kann die anderen Orte ersetzen; alle brauchen die wechselseitige Unterscheidung und Verbindung, die wechselseitige Bejahung und Begrenzung, die wechselseitige Erschließung und Erörterung. … Kein Ort kann die anderen Orte, keine Zeit kann eine andere Zeit ersetzen oder dominieren." (OT, 10) So weit, so nebulös.

Die Entwicklung der Lehre (OT, 30) wird beschworen, die Dogmen der Kirche werden relativiert: "Auch die Dogmen der Kirche sind vieldeutige Texte und im geschichtlichen Verlauf je neu auf ihren Sinn hin zu befragen." (OT, 61) Nach unbestimmten Bemerkungen zu "Zeichen der Zeit" jeglicher Art wird der Skandal des "systemischen Missbrauchs" (OT, 68) oder sexuellen Missbrauchs erwähnt, der als Anlass für Kirchenreformen verstanden und auf diese Weise, ob absichtlich oder nicht, nicht systematisch aufgeklärt, sondern instrumentalisiert wird: "Das Zeichen der Zeit, das der Aufschrei der Opfer sexualisierter Gewalt wirkmächtig setzt, bleibt nicht folgenlos. Es rückt weitere aufbrechende Fragen kirchlichen Lebens ins Blickfeld: die Frage der Macht und das Verlangen nach Gewaltenteilung; die Zukunftsfähigkeit priesterlicher Lebensformen; das Verlangen nach gleichberechtigtem Zugang aller Geschlechter zu den Diensten und Ämtern der Kirche; die Nicht-Rezeption der gegenwärtigen kirchlichen Sexualmoral." (OT, 43) 

Nicht erwähnt werden das Credo der Kirche oder die Sakramente: "Die Einheit der Kirche besteht nicht in der Einheitlichkeit ihrer Mitglieder und deren einzelnen Auffassungen. Die Einheit der Kirche besteht in der Eindeutigkeit ihrer Sendung und deren vielstimmigen Ausdrucksformen." (OT, 46) Gerade indem hier auch versucht wird, die Kirche nicht als Partei zu verstehen, wird bloß noch ein säkulares, beliebig füllbares Parteiprogramm – eine unbestimmte "Sendung" – formuliert. Zugleich wird behauptet: "Die Kirche ist nicht nur Erinnerungsgemeinschaft, sondern auch Dialoggemeinschaft. Sie beteiligt grundsätzlich alle Getauften und Gefirmten. Dass ein Dialog in der Ausrichtung auf das Wesentliche gelingt und nicht im unverbundenen Stimmengewirr endet, dafür tragen besonders die Bischöfe Sorge. Als Leiter der Ortskirchen sind sie Anwälte der Einheit und Brückenbauer innerhalb der weltumspannenden Dialoggemeinschaft." (OT, 49) Die Glaubens- und Pilgergemeinschaft, die alle Zeiten und Orte umschließt, ist die Kirche nach dem Verständnis der Autoren dieses Textes offenbar nicht mehr. 

Papst und Bischöfe könnten auch lehramtlich irren, nur ein "Konsens" (OT, 53) scheint den Irrtum auszuschließen. Erstaunlicherweise wird Papst Franziskus zwar oft zitiert, aber zugleich vehement kritisiert: "Der Synodale Weg nimmt wahr, dass das römische Lehramt auch in unserer Zeit in laufende Klärungsprozesse und Diskussionen eingreift und auf Lehrpositionen beharrt, die vielen Gläubigen, darunter auch Diakonen, Priestern und Bischöfen, weit über Deutschland hinaus nicht mehr nachvollziehbar erscheinen." (OT, 57) Wer diesen "Orientierungstext" wahrnimmt, wird erkennen, warum sich etwa Kardinal Kasper jüngst deutlich besorgt über die Agenda des "Synodalen Weges" geäußert hat. 

In der Präambel wird appelliert: "Es widerspricht daher Gottes Geistkraft, die Einheit autoritär durchzusetzen. Auch wenn ein solcher Weg für manche unwiderstehlich sein mag, er ist und bleibt eine Versuchung, der wir nicht nachgeben dürfen. Denn wir sind gefordert, uns auch mit dem Anderen und dem Fremden auseinanderzusetzen. Wir hoffen, gerade im ernstgemeinten Dialog mit ihnen wesentliche Spuren zu entdecken, auf die Gott unsere Aufmerksamkeit lenken und uns so in die Zukunft leiten will. Umso schmerzlicher nehmen wir wahr, dass freimütiges Reden und Überlegen schnell unter den Generalverdacht des Spalterischen und des Traditionsverlustes gestellt werden." (P, 1) Die vermeintliche Versuchung, die die Autoren des "Orientierungstextes" hier benennen, unterscheidet sich deutlich von der realen Versuchung: die Abwendung von Gott und die Entfremdung von der Lehre und vom Glauben der Kirche.

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