Bonn - Dienstag, 13. April 2021, 12:11 Uhr.
In der vergangenen Woche hat die Bundeskonferenz der Präventionsbeauftragten der deutschen Bistümer zum ersten Mal ein Positionspapier (hier online) erarbeitet und veröffentlicht.
Das Papier zitiert den bekannten französischen Philosoph Michel Foucault – ein Autor, der kürzlich beschuldigt wurde, selber Kindesmissbrauch begangen zu haben.
In einer Stellungnahme gegenüber CNA Deutsch (voller Wortlaut unten anbei) teilte ein Sprecher der Bischofskonferenz mit, man stütze sich nicht auf Foucaults Thesen, und dass der "humanwissenschaftliche Rahmen" des Präventionskonzepts nicht beschädigt werde.
Foucault wird im Positionspapier unter anderem auf Seite 8 zitiert, außerdem findet sich ein weiterer Hinweis auf ihn in den Literaturangaben. Das Positionspapier soll auch beim "Synodalen Weg" im Synodalforum "Leben in gelingenden Beziehungen" vorgelegt werden.
Michel Foucault (1926 – 1984) war Historiker und Philosoph. In seinen Werken untersuchte er unter anderem das Verhältnis von Macht und Sexualität. Sexualität ist für Foucault "ein besonders geeignetes Trägermedium für Machtbeziehungen", heißt es beispielsweise im Positionspapier der Bundeskonferenz der Präventionsbeauftragten. Dort wird er mit den Worten zitiert:
"Die Sexualität ist nicht als eine Triebkraft zu beschreiben, die der Macht von Natur aus widerspenstig, fremd und unfügsam gegenübersteht - einer Macht, die sich darin erschöpft, die Sexualität unterwerfen zu wollen, ohne sie gänzlich meistern zu können. Vielmehr erscheint sie als ein besonders dichter Durchgangspunkt für die Machtbeziehungen: zwischen Männern und Frauen, zwischen Jungen und Alten, zwischen Eltern und Nachkommenschaft, zwischen Erziehern und Zöglingen, zwischen Priestern und Laien, zwischen Verwaltungen und Bevölkerungen. Inner- halb der Machtbeziehungen gehört die Sexualität nicht zu den unscheinbarsten, sondern zu den am vielseitigsten einsetzbaren Elementen: verwendbar für die meisten Manöver, Stützpunkt und Verbindungsstelle für die unterschiedlichsten Strategien."
Philosophen wie Roger Scruton oder Noam Chomsky haben bereits in den 1980er Jahren kategorisch Foucaults Thesen widersprochen, vor allem der – nicht nur aus katholischer und biologischer Sicht – fragwürdigen Behauptung, dass die Sexualmoral allein ein soziales Konstrukt sei.
Ende März 2021 beschuldigte dann der französische Autor Guy Sorman öffentlich Foucault, im Jahr 1969 in Tunesien mehrere Minderjährige sexuell missbraucht zu haben. Am 7. April berichteten auch deutsche Medien von dem Fall.
Haltung zur Pädophilie
Unabhängig von seiner Sicht der Sexualmoral sowie den Vorwürfen angeblichen Missbrauchs gegen Foucault – die bislang nicht bewiesen worden sind – steht dessen Haltung zur Pädophilie in der Kritik.
Bekanntlich hat sich Foucault öffentlich dafür eingesetzt, dass "einvernehmliche" sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern entkriminalisiert werden sollten. 1977 unterschrieb er, gemeinsam mit Jean Paul Sartre und Jacques Derrida, eine Petition für ein Senken des Schutzalters für Kinder in Frankreich. In einem Interview verteidigte Foucault dies und argumentierte, dass Kinder selbst in der Lage seien zu äußern, ob Missbrauch vorliege oder nicht. Wörtlich sagte Foucault:
"Eine gesetzlich festgelegte Altersgrenze hat jedenfalls wenig Sinn. Auch hier kann man dem Kind zutrauen, dass es sagt, ob ihm Gewalt angetan wurde oder nicht."
Mehr noch: Foucault bezeichnete es als "nicht akzeptablen Missbrauch", wenn man Kindern die Fähigkeit abspreche, eigenverantwortlich dem Geschlechtsverkehr mit Erwachsenen zuzustimmen:
"Nun, wenn es um Kinder geht wird angenommen, dass sie eine Sexualität haben, die niemals auf einen Erwachsenen gerichtet sein kann, und damit hat es sich. Zweitens wird angenommen, dass sie nicht in der Lage sind, über sich selbst zu sprechen, über sich selbst ausreichend im Klaren zu sein. (...) Aber wenn man einem Kind zuhört, wenn man es sprechen hört, wenn man ihm zuhört, wie seine Beziehungen zu jemandem, ob Erwachsener oder nicht, tatsächlich waren, muss man, wenn man mit genügend Einfühlungsvermögen zuhört, mehr oder weniger feststellen können, welcher Grad an Gewalt, wenn überhaupt, angewandt wurde oder welcher Grad an Zustimmung gegeben war. Und anzunehmen, dass ein Kind nicht in der Lage ist, zu erklären, was passiert ist, und dass es nicht in der Lage war, seine Zustimmung zu geben, sind zwei Missbräuche, die nicht tolerierbar sind, ganz und gar nicht akzeptabel."
Ob eine Person mit solchen – bereits in den 1980er Jahren umstrittenen – Ansichten der geeignete Stichwortgeber für ein Präventionskonzept der Kirche in Sachen sexueller Gewalt und Missbrauch Minderjähriger und Schutzbedürftiger ist: Das ist nur die erste Frage für die deutschen Bischöfe, ganz zu schweigen von Opfern und Angehörigen. Eine weitere sind die Vorwürfe sexueller Gewalt gegen Michel Foucaults eigene Person.
Antwort der Bischofskonferenz
Am 7. April bat CNA Deutsch die deutsche Bischofskonferenz um Stellungnahme. Ihr Sprecher Matthias Kopp antwortete am 12. April schriftlich "für die Präventionsbeauftragten und unser Haus". Dabei betonte er, "dass die Vorwürfe gegen Herrn Foucault ja – das machen alle Medienbeiträge so in der ZEIT, dlf, NZZ u. a. deutlich – zunächst Verdächtigungen sind und kein Verdacht".
Gleichzeitig betont die Stellungnahme, der "humanwissenschaftliche Rahmen" des eigenen Konzepts werde dadurch ohnehin nicht "beschädigt". Man werde Foucault gegebenfalls als Referenz entfernen, lehnt dies aber bislang ab.
CNA Deutsch veröffentlicht im vollen Wortlaut die Antwort der deutschen Bischofskonferenz und der Präventionsbeauftragten.
Waren den Verfassern des Positionspapiers die Vorwürfe gegen Foucault zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Dokuments bekannt?
Nein. Das Papier wurde bereits im Januar 2021 verabschiedet, also bereits deutlich vor der Formulierung des Verdachts gegen Foucault. Aufgrund der jetzigen Diskussion wird der weitere Verlauf der Ermittlungen gegen Foucault genau beobachtet und entsprechend reagiert werden, wenn ein Ergebnis vorliegt.
Wusste man von den Vorwürfen, nachdem die Presse im Ausland bereits an Palmsonntag darüber berichtete? Wenn ja, hat man die Möglichkeit in Betracht gezogen, das Positionspapier noch einmal zu überarbeiten?
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Nein.
Bis jetzt gibt es in der Öffentlichkeit noch keine eindeutigen Beweise dafür, dass Foucault tatsächlich Kinder missbraucht hat. Die Vorwürfe, die von verschiedenen Seiten gegen ihn erhoben werden, wiegen jedoch schwer. Werden sich die Verfasser im Falle einer "posthumen Verurteilung" Foucaults weiterhin auf dessen "Erkenntnisse" stützen und diese argumentativ in den Diskurs miteinbringen? Oder wird man sich von ihm distanzieren?
Die Position Foucaults wurde als ein Beispiel dafür zitiert, dass im philosophischen Bereich der Bezug zwischen Sexualität und Macht diskutiert wird. Dies ist keine exklusive Foucaultsche Position. In dem Falle, dass sein Werk neu zu bewerten sein würde, wird es nötig sein, eine andere Referenz zu benennen.
Hält die deutsche Bischofskonferenz es weiterhin für ratsam, auch unabhängig von den öffentlich gewordenen Vorwürfen gegen Foucault ein Präventionskonzept zu entwickeln, das sich auch auf die Aussagen eines Philosophen stützt, der sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen und Kindern zumindest für unproblematisch hielt?
Die Annahme ist schlicht falsch, dass sich das Präventionskonzept auf Aussagen Foucaults stützen würde. Er ist als ein Beispiel genannt worden. Sollte es nötig sein, das Papier zu überarbeiten und zu verdeutlichen, dass man sich von der Position Foucaults distanzieren muss, wird damit weder der inhaltliche Bezug noch der humanwissenschaftliche Rahmen des Konzepts insgesamt beschädigt.
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