29. November 2018
Wiederholt und mit scharfen Worten ist Kardinal Gerhard Ludwig Müller für seine Aussagen zur Kirchenkrise in den vergangenen Tagen angegriffen worden, hat aber auch deutlichen Zuspruch erfahren. EWTN-Romkorrespondent Paul Badde hat den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation interviewt.
PAUL BADDE: Herr Kardinal, die Schriftlesungen der letzten Tage des Kirchenjahres sind überaus apokalyptisch. Wie ist Ihnen da zumute, wenn Sie diese Texte morgens bei der heiligen Messe hören und lesen?
Kardinal Gerhard Ludwig Müller: Ich bin von Natur aus nicht apokalyptisch veranlagt. Ich habe es mehr mit der Eschatologie, die besagt, dass Christus wirklich der Retter der Welt ist. Dem, der Gott liebt, wird am Ende alles zum Guten und Besten gereichen.
Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neuer Beitrag erscheint, in dem Sie immer noch scharf angegriffen werden wegen Ihres Interviews mit Maike Hickson, in dem Sie den Katechismus der Kirche noch einmal auf traditionelle Weise vorgestellt und verteidigt haben, als einen Kampf um die Wahrheitsfrage. Gibt es eine "Jagd auf Kardinal Müller"?
Wie Sie sagen, handelt es sich um Angriffe auf meine Person und nicht um ernstzunehmende Beiträge in der Sache. Aber das ist immer so. Wenn es um die Macht statt um die Wahrheit geht, bleibt der Anstand auf der Strecke. "Wenn wir Seine Jünger sind, weil wir in Seinem Wort bleiben, dann werden wir die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird uns frei machen." (vgl. Joh 8,31f)
Bis vor kurzem waren Sie noch der Glaubenswächter der gesamten katholischen Kirche. Da markieren die Angriffe auf Sie aus dem Raum der Kirche aber eine dramatische Wende, in der auch die Hermeneutik der Kontinuität innerhalb der Kirche zu zerschellen scheint, die Papst Benedikt XVI. noch so leidenschaftlich beschworen hat. Was sagen Sie dazu?
Der Glaube der Kirche eint die Gläubigen, weil sie auf das Wort Gottes hören. Papst Franziskus hat Recht: Wo gespalten wird, da ist nicht der Heilige Geist. Zur Hermeneutik der Reform des Lebensstils und der Kontinuität im Glaubensbekenntnis gibt es keine Alternative.
Warum spielt denn die Debatte um homosexuelle Netzwerke innerhalb der Kirche und des Vatikans in diesem Streit eine offensichtlich anstößige Hauptrolle?
Ich hatte festgestellt, dass 80 Prozent der Opfer von Missbrauchsdelikten durch katholische Kleriker männlich sind. Bekanntlich fürchten Ideologen die Tatsachen wie der Teufel das Weihwasser. Aber ich kenne die Vorgänge und Hintergründe aus vielen Prozessen, die wir von Amts wegen in der Glaubenskongregation geführt haben. Ob es "homosexuelle Netzwerke" im Vatikan gibt, weiß ich nicht - außer durch die Feststellung, die auf Papst Franziskus selbst zurückgeht. Aber es gibt hochrangige Vertreter der katholischen Kirche, die über alles Maß hinaus Menschen dieser Tendenz verteidigen und fördern. Wenn aber die Inhalte des katholischen Glaubens in Frage gestellt werden, zeigen sie sich weitherzig und flügellahm. Wer ihrer Agenda folgt, darf sich alles erlauben. Wer auf assistiertes Denken verzichtet, wird von ihnen gnadenlos verfolgt, derzeit nach der Devise "Paulus ade - Wucherpfennig okay!" Das ist mit mir aber nicht zu haben und dazu werde ich nicht schweigen.
Offensichtlich ist die Kirche heute vertikal und horizontal tief gespalten. Gilt aber nicht auch der Glaube selbst, dass der Schöpfer des Himmels und der Erde Mensch wurde, gekreuzigt wurde, aus dem Grab auferstand und schließlich in der heiligen Eucharistie unter uns leibhaft zugegen ist, nicht auch in der Kirche längst als zu anspruchsvoll oder absurd? Es ist doch auch ein Glaube, den kaum noch ein Theologe teilt.
Wer die Menschwerdung Gottes leugnet, ist kein katholischer Theologe, sondern höchstens ein Professor auf einer satten Pfründe. Da sollte man wenigstens so ehrlich sein, seine Brötchen woanders zu verdienen. Die Zugehörigkeit zur Kirche kraft Taufe und Glauben ist etwas anderes als Nutznießer im kirchlichen Establishment zu sein. Der Riss geht nicht zwischen Konservativen und Liberalen, was immer diese eher politisch-weltanschaulichen Ausdrücke bedeuten mögen. Die Theologie empfängt ihren Gegenstand vom geoffenbarten Glauben und der Lehre der Kirche. Die Theologie als Wissenschaft richtet sich in ihrer Methode nach ihrem Gegenstand. Ungläubige Theologie unterscheidet sich von gläubiger Theologie wie das hölzerne vom glühenden Eisen.
Wie schauen Sie denn in diesem Jahr vor dem Advent in Ihre Zukunft und in die Zukunft der römisch-katholischen Kirche?
In die Zukunft kann ich nicht schauen. Aber sie ist der nach vorne offene Raum der Hoffnung, die nicht zugrunde gehen lässt. Die Kirche hat bestimmt in Deutschland keine große Zukunft, wenn sie wie eine politische Partei agiert und agitiert. Dagegen gilt: Seid stark im Glauben!
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