Weiterbeschäftigung von Missbrauchstäter nur "Systemfehler"?

Bischof Franz-Josef Overbeck, Kardinal Rainer Maria Woelki und Bischof Felix Genn (von links).
Christoph Wagener / Wikimeda (CC BY-SA 3.0) // Screenshot / YouTube // Ruecki / Wikimeda (CC BY-SA 3.0)

In einer Pressemitteilung hat das Bistum Münster am Donnerstag Stellung zu den Vorgängen um den 87-jährigen Priester A. genommen, der wiederholt wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt wurde und dennoch weiterhin als Seelsorger in den Bistümern Essen und Münster sowie im Erzbistum Köln tätig war.

Der Fall hatte für Aufsehen gesorgt, seit das Erzbistum Köln im November 2019 die Öffentlichkeit darüber erstmals informierte. Demnach war Priester A., der damals im Erzbistum Köln inkardiniert war, bereits 1972 wegen "fortgesetzter Unzucht mit Kindern und Abhängigen" zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Ab 1973 war er im Bistum Münster tätig, 1988 wurde er wegen sexueller Handlungen an Minderjährigen erneut auffällig und erhielt eine Bewährungsstrafe. Ab 1989 arbeitete er im Erzbistum Köln als Altenheimseelsorger, bis er ab 2002 als Ruhestandsgeistlicher in die Gemeinde von Bochum-Wattenscheid (Bistum Essen) kam – und bis ins Jahr 2015 weiterhin ungehindert als geweihter Geistlicher "wirkte". Erst 2019 hatte Woelki ihm die Ausübung der priesterlichen Dienste verboten.

Bistum Münster: Fall bereits früher bekannt

In der gestrigen Pressemitteilung betonten die Verantwortlichen des Bistums Münster, dass die "Verantwortung und die Federführung für die Aufarbeitung und Kommunikation des Falls" beim Erzbistum Köln liege. Das Bistum Münster habe unmittelbar nach Bekanntwerden der Vorwürfe im letzten Jahr seinerseits "die allgemeine Öffentlichkeit mittels einer Pressemittelung informiert".

Wie CNA Deutsch damals berichtete, gestand der Münsteraner Bischof Felix Genn darin auch eigene Fehler ein und räumte ein, dass er, auch wenn der Fall erst im November 2019 öffentlich wurde, er bereits im Mai 2019 Kenntnis davon erhalten. Er habe einen Brief bekommen, den er an den Interventionsbeauftragten weitergeleitet habe, der daraufhin auch das Erzbistum Köln informierte.

Gestern verwies das Bistum Münster auf die weiteren Maßnahmen, die man seit dem November letzten Jahres ergriffen habe. So habe man mehrere Veranstaltungen in den Pfarreien von Westerkappeln, Recklinghausen und Moers organisiert, in denen Priester A. zu seiner Zeit im Bistum Münster im Einsatz war. Die Pressestelle schreibt dazu wörtlich:

"Auf den Veranstaltungen wurden seitens der Vertreter des Bistums die Namen der damaligen Verantwortungsträger im Bistum Münster genannt und Schuld und Verfehlungen eingeräumt. Auch über den Verlauf dieser Veranstaltungen hat das Bistum die allgemeine Öffentlichkeit informiert."

Die Vorfälle werden aktuell auch von der Historikerkommission der Universität Münster aufgearbeitet, so die Diözese weiter. Diese Kommission untersucht auch den Umgang mit anderen Missbrauchsfällen seit 1945 "in völliger Unabhängigkeit vom Bistum Münster".

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Kritik an mangelnder Transparenz

Die Diözese widersprach gestern außerdem der Darstellung, dass das Bistum Münster Anfragen zum Fall des Priesters A. beantworte. Dies hatte das Erzbistum Köln auf seiner Homepage behauptet. Die Münsteraner Vertretung schreibt dazu:

"Im Jahr 2019 war zwischen den Bistümern Essen, Köln und Münster vereinbart worden, dass ausschließlich das Erzbistum Köln in der Angelegenheit Auskünfte gibt, da der Priester nach wie vor dort inkardiniert ist, also Priester des Erzbistums war und ist. Sämtliche Unterlagen aus dem Bistum Münster zu dem Fall sind daher vom Interventionsbeauftragten des Bistums Münster, Peter Frings, im Jahr 2019 an das Erzbistum Köln für die dort in Auftrag gegebene Aufarbeitung übermittelt worden."

Diese Unterlagen seien in ein Sondergutachten der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl eingeflossen, das federführend vom Erzbistum Köln gemeinsam mit den Bistümern Essen und Münster in Auftrag gegeben worden sei. In Münster liege jedoch bis heute "lediglich eine Ausarbeitung der Kanzlei vom 1. August 2019" vor. Endgültige Feststellungen der Kanzlei seien dem Bistum Münster "zu keinem Zeitpunkt" übermittelt worden. Die Diözese wörtlich:

"Bis heute ist das Bistum Münster über mögliche weitere Erkenntnisse in der Angelegenheit des Pfarrers A. zu keinem Zeitpunkt informiert worden. Das Bistum Münster würde eine unmittelbare Veröffentlichung der Ausarbeitung der Kanzlei Westphal Spilker Wastl zum Fall des Priesters A. begrüßen."

Die Anwaltskanzlei war auch mit der Untersuchung der Missbrauchsfälle im Erzbistum Köln beauftragt worden, nach Unstimmigkeiten (CNA Deutsch berichtete) wurde die Veröffentlichung des erstellten Gutachtens jedoch gestoppt.

Bischof Genn: Ein "verheerender Fehler" des "Systems"?

Das Bistum Münster äußerte sich gestern auch zu den kürzlich getroffenen Aussagen des Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck. Dieser hatte in einem Zeitungsbeitrag gestanden, dass er über einen Zeitraum von mehreren Jahren den Missbrauchstäter als Priester in seinem Bistum beschäftigt hatte. Im selben Beitrag wurde in Richtung von Bischof Felix Genn auch die Frage gestellt, wer "zugelassen hat", dass Pfarrer A. trotz seiner Verurteilungen dennoch "stets Priester blieb".

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Die Pressestelle des Bistums Münster zitiert in diesem Zusammenhang eine Aussage von Bischof Genn, der vor seinem Wechsel nach Münster von 2003 bis 2009 Bischof von Essen gewesen ist, also auch in jenem fraglichen Zeitraum, in dem Priester A. als Ruhestandsgeistlicher in die Gemeinde von Bochum-Wattenscheid "wirkte". Im November 2019 betonte Genn in einem offenen Brief an die Gläubigen seines Bistums, dass ihm "bewusst" sei, dass er als Bischof "letztlich für das verantwortlich" sei, "was im Bistum geschieht". Genn wörtlich:

"Dass damals ein Priester in einer Gemeinde seelsorgliche Dienste tun konnte, obwohl bekannt war, dass er mehrfach wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt worden war, war ein verheerender Fehler. Mich erschreckt im Rückblick die damals fehlende Einsicht, dass ein Priester grundsätzlich nicht mehr seelsorglich eingesetzt werden darf, wenn er sich solcher Verbrechen schuldig gemacht hat."

Heute frage er sich, warum er diesen Fall "in all den Jahren in Essen nicht wahrgenommen" habe, so Genn weiter. Bei der Frage nach der Verantwortlichkeit bat Genn im letzten Jahr Betroffenen um Vergebung, wenngleich er sich selbst auch als Opfer seiner Unkenntnis darstellte und einen Teil der Verantwortung dem "System" zuschob.

Antworten, weshalb Priester A. wider besseren Wissens dennoch so lange tätig sein konnte, suchte man in Genns Statement vergeblich. Der Bischof schrieb damals wörtlich:

"Welche Schwächen und Fehler gibt es in unserem 'System', dass ein Bischof nicht weiß, wenn ein Priester mit einer solchen Vorgeschichte in einer Gemeinde tätig ist? Haben wir diese systemischen Schwächen heute wirklich beseitigt? Und zentral ist natürlich die Frage, wie es überhaupt sein konnte, dass ein Priester, der mehrfach verurteilt wurde, von Bistum zu Bistum versetzt wurde? Auf diese Fragen habe ich keine einfachen Antworten. Ich weiß nur, dass ich als Bischof von Essen damals Verantwortung trug und deshalb alle um Entschuldigung bitte, die sich jetzt hintergangen oder betrogen fühlen. Insbesondere gilt diese Bitte ausdrücklich denen, die der Priester missbraucht hat und die nicht verstehen können, dass er weiter als Priester tätig sein durfte."

Erst gestern hatte sich der Kölner Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, entsetzt darüber gezeigt, dass das Erzbistum Köln in diesem Fall "nicht auf die warnenden Stimmen gehört" und den Geistlichen weiterhin eingesetzt habe, während man seine Verbrechen verheimlichte. Woelki versprach lückenlose Aufklärung, bei der die dafür verantwortlichen Personen "herausgefunden und benannt" werden sollen (CNA Deutsch hat berichtet).

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