Donnerstag, November 21, 2024 Spenden
Ein Dienst von EWTN News

Missbrauchsgutachten in München: Vorwürfe gegen Kardinal Marx und Papst Benedikt XVI.

Die Frauenkirche in München, gesehen vom "Alten Peter", der Pfarrkirche St. Peter.

Am Donnerstagvormittag wurde in München das lange erwartete Missbrauchsgutachten des Erzbistums München und Freising vorgestellt. Dabei wurde unter anderem auch ein mögliches Fehlverhalten des früheren Erzbischofs und heutigen emeritierten Papstes, Kardinal Joseph Ratzinger, sowie des amtierenden Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, untersucht.

Marx selbst war bei der Pressekonferenz abwesend. Er soll heute um 16.30 Uhr an die Öffentlichkeit treten, kündigte das Erzbistum stattdessen an. Papst emeritus Benedikt XVI. hatte bereits im Vorfeld eine umfangreiche Stellungnahme zur Untersuchung angekündigt (CNA Deutsch hat berichtet). 

Marx erscheint nicht zur Pressekonferenz

Die erste Überraschung zeigte sich gleich zu Beginn der Pressekonferenz, die am Donnerstagmorgen um 11.00 Uhr begann. Vor der Presse erschienen neben der Moderatorin Barbara Leyendecker die Gutachter der beauftragten Anwaltskanzlei Marion Westpfahl, Ulrich Wastl und Martin Pusch. Einer fehlte jedoch: Der amtierende Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx.

Moderatorin Leyendecker teilte mit, Marx habe sich "gegen eine Teilnahme entschieden", ohne jedoch auf die möglichen Gründe einzugehen.

Marion Westpfahl ergänzte, man habe den Kardinal "ausdrücklich" eingeladen, zur Pressekonferenz zu erscheinen. Dieser Einladung sei er jedoch nicht gefolgt. "Wir bedauern sein Fernbleiben außerordentlich", so Westpfahl wörtlich.

Marion Westpfahl, Gründungspartnerin der Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl, präsentiert einen Bericht über den Umgang der Erzdiözese München mit Missbrauchsfällen, 20.01.2022. Screenshot aus dem BR24 extra Live-Stream.

Mutmaßlich 235 Täter, fast 500 Betroffene

Insgesamt habe man 261 Personen untersucht, denen im Zeitraum von 1945 bis 2019 im Zuständigkeitsbereich des Erzbistums München und Freising Missbrauch vorgeworfen wird. Bei 235 Personen habe man "etwas vorgefunden".

Darunter sind nach Ansicht der Gutachter insgesamt 173 Priester als Täter schuldig geworden, neun Diakone, fünf Pastoralreferenten und 48 Personen aus weiteren Berufsgruppen, beispielsweise aus dem Schuldienst.

Insgesamt gehen die WSW-Gutachter von 497 "Geschädigten" aus. Martin Pusch (WSW) betonte, dass diese Zahlen jedoch möglicherweise "nicht die gesamte Anzahl" widerspiegeln würden. Die Dunkelziffer liege seiner Ansicht nach höher.

Überwiegend männliche Opfer

Die Mehrzahl der Opfer ist männlich (247), 182 Betroffene seien weiblich, bei 68 Fällen sei eine Zuordnung nicht möglich gewesen.

60 Prozent der männlichen Betroffenen waren zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten zwischen acht und 14 Jahre alt. Bei den weiblichen Opfern machten die Minderjährigen einen Anteil von einem Drittel aus.

Martin Pusch erklärte, er wolle "besonders hervorheben", dass der emeritierte Papst Benedikt XVI. "ausführlich" Rede und Antwort gestanden habe. Seine 82-seitige Stellungnahme habe den Gutachtern einen "authentischen Einblick" gegeben.

(Die Geschichte geht unten weiter)

Erhalten Sie Top-Nachrichten von CNA Deutsch direkt via WhatsApp und Telegram.

Schluss mit der Suche nach katholischen Nachrichten – Hier kommen sie zu Ihnen.

WhatsApp Telegram

Widerspruch zur Kritik an Benedikt 

Insgesamt habe man beim damaligen Erzbischof vier Fälle zu beanstanden, in denen Ratzinger nach Ansicht der Gutachter falsch gehandelt habe. Dies beträfe zum einen zwei Fälle, in denen zwei Priester, die jeweils staatlicherseits wegen Missbrauchs verurteilt wurden, weiterhin in der Seelsorge tätig waren, ohne kirchenrechtlich belangt worden zu sein.

In einem weiteren Fall habe das Erzbistum unter Leitung von Ratzinger einen Priester in den Dienst genommen, der "von einem nicht-deutschen Gericht bereits verurteilt" worden war.

Die Gutachter zeigten sich auch überzeugt davon, dass der heutige Papst damals als Erzbischof von München und Freising auch Kenntnisse vom Fall des Priesters Peter H. hatte, der als verurteilter Missbrauchstäter im Erzbistum erneut rückfällig wurde. Belege, dass Kardinal Ratzinger um die Vorgeschichte von Peter H. wusste, konnten die Gutachter nicht vorlegen, nach Ansicht von Gutachter Ulrich Wastl sei es jedoch "überwiegend wahrscheinlich".

Papst Benedikt streitet dies jedoch bis heute ab und erklärte, er könne sich hierbei auf sein "hervorragendes Langzeitgedächtnis" berufen.

Gutachter: Mangelndes Verantwortungsbewusstsein von Kardinal Marx

Dem heutigen Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, werfen die Gutachter insgesamt zwei Fälle von Fehlverhalten vor. Marx habe dabei keine Maßnahmen ergriffen, um auf die Missbrauchsopfer zuzugehen und ihnen weitere Hilfen zukommen zu lassen. Zudem habe er rechtswidrig gehandelt: Marx habe die Fälle nicht der Glaubenskongregation in Rom gemeldet.

Allerdings habe er, so die Gutachter, in seiner Stellungnahme betont, dass die Hauptverantwortung für die Bearbeitung solcher Fälle seiner Meinung nach jedoch beim Ordinariat und dem Generalvikariat läge. Sollten diese ihren Pflichten nicht nachgekommen sei, empfinde er dafür lediglich eine "moralische Verantwortung". 

Rechtsanwalt Pusch merkte dazu an, dass Marx betont habe, ihm als Erzbischof unterliege hauptsächlich die "Verkündigung des Wortes Gottes".

Diese Einschätzung werde von den Gutachtern jedoch "nicht uneingeschränkt geteilt". Marx' Argumentation greife zu kurz, so der Anwalt, wenn er die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit auf die ihm unterstellten Funktionsträger zuweise. Pusch wörtlich:

"Wann, wenn nicht im Fall des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist die Einordnung einer Thematik als 'Chefsache' zutreffen? Erst recht gilt dies, wenn die einschlägigen Regelwerke dem Diözesanbischof eine zentrale Rolle zuweisen. Dass Erzbischof Kardinal Marx diese wahrgenommen hätte, war für uns nicht festzustellen."

Vielmehr hätte es "gewisse Änderungen" im Umgang von Kardinal Marx mit Missbrauchsänderungen erst ab dem Jahr 2018 gegeben.

Wie CNA Deutsch berichtete, hatte Marx im Juni letzten Jahres dem Papst erfolglos seinen Rücktritt angeboten, und einen weiteren Versuch nicht ausgeschlossen.

Fehlverhalten von Faulhaber, Döpfner und Wetter

Auch das Verhalten der Vorgänger von Kardinal Marx wurde untersucht. So habe man bei Kardinal Friedrich Wetter (1982-2008) Fehlverhalten in 21 Fällen festgestellt. Wetter habe – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – zu wenig für die Aufklärung getan und die Opferfürsorge vernachlässigt.

Bis auf einen Fall habe Wetter seine Schuld jedoch bestritten.

Den ehemaligen und mittlerweile verstorbenen Erzbischöfen Michael von Faulhaber (vier Fälle), Joseph Wendel (acht Fälle) und Julius Döpfner (14 Fälle) wird ebenfalls Fehlverhalten im Umgang mit den Missbrauchsfällen vorgeworfen.

Kritik an Offizial Lorenz Wolf

Die Gutachter betonten bei der Vorstellung des Gutachtens die Rolle des amtierenden Offizials des Erzbistums, Prälat Lorenz Wolf. Ihm habe man in jüngerer Vergangenheit in 12 Fällen ein Fehlverhalten nachweisen können.

Wolf habe sich als Einziger der für das Gutachten Befragten geweigert, eine Erklärung abzugeben. Obwohl er sich, wie die Vertreter der Anwaltskanzlei anmerkten, in den Medien als Aufklärer präsentiert habe, sei er im Gespräch mit mutmaßlichen Opfern "ablehnend" und mit "mangelnde Empathie" aufgetreten.

Wolf habe den Betroffenen häufig "mangelnde Glaubwürdigkeit" unterstellt und den Eindruck erweckt, ihm stehe der Schutz der beschuldigten Priester im Vordergrund.

Altes WSW-Gutachten von 2010 bleibt unter Verschluss

Die Kanzlei WSW hatte bereits 2010 ein Missbrauchsgutachten für das Erzbistum München und Freising erstellt. Dieses sei jedoch bis heute "im Panzerschrank verschwunden", kritisierten beispielsweise Missbrauchsbetroffene in der jüngeren Vergangenheit.

Auf heutige Nachfrage von Journalisten, ob dieses Gutachten, das bislang nur in wenigen Auszügen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, nun ebenfalls zur allgemeinen Einsichtnahme zur Verfügung gestellt wird, erklärten die Vertreter der Kanzlei, dass dies aus "äußerungsrechtlichen Gründen" nicht möglich sei.

Beobachter sehen darin eine Parallele zum WSW-Gutachten in Köln, das wegen gleicher rechtlicher Bedenken nur eingeschränkt zugänglich ist. Der Erzbischof von Köln, Kardinal Rainer Maria Woelki, hatte daraufhin ein neues Gutachten in Auftrag gegeben, das im März vergangenen Jahres vollständig veröffentlicht wurde.

Eine Stellungnahme des amtierenden Erzbischofs von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, wird am Donnerstagabend um 16.30 Uhr erwartet. CNA Deutsch wird fortlaufend darüber berichten.

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Unsere Mission ist die Wahrheit. Schließen Sie sich uns an!

Ihre monatliche Spende wird unserem Team helfen, weiterhin die Wahrheit zu berichten, mit Fairness, Integrität und Treue zu Jesus Christus und seiner Kirche.

Spenden

Die Besten katholischen Nachrichten - direkt in Ihren Posteingang

Abonnieren Sie unseren kostenlosen CNA Deutsch-Newsletter.

Klicken Sie hier