Kardinal Sarah würdigt Aufsatz von Benedikt, widerspricht Kritikern

Kardinal Robert Sarah ist Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung.
EWTN/Paul Badde

Kardinal Robert Sarah hat den aufsehenerregenden Aufsatz von Papst emeritus Benedikt XVI. über die Krise des sexuellen Missbrauchs gewürdigt und die "Erbärmlichkeit und Dummheit" negativer Reaktionen angesprochen. Tatsächlich sei es "wieder einmal der Theologe Ratzinger" gewesen, "der den Rang eines wahren Vaters und Doktors der Kirche hat", der den eigentlichen Grund der Kirchenkrise richtig erkannt und aufgezeigt habe.

Der Kurienkardinal und Präfekt der Kongregation für den Gottesdienst sollte eigentlich über sein neues Buch "Le soir approche et déjà le jour baisse" bei der Veranstaltung am 14. Mai in Rom sprechen. Stattdessen überraschte Sarah das Publikum – eingeladen waren französische Intellektuelle und vatikanische Diplomaten –mit einem Vortrag, der sich ganz den Überlegungen Benedikts widmete.

Krise des Glaubens, der Kirche, des Priestertums

Kardinal Sarah würdigte Benedikt in seiner Rede, die der Vatikanist Sandro Magister vollständig auf Französisch veröffentlichte, als einen "Märtyrer der Wahrheit".

Der emeritierte Papst spreche mutig Wahrheiten an, die nicht nur die Frage betreffen, wie die sexuelles Fehlverhalten und dessen Vertuschung in der Kirche ein solches Ausmaß erreichen konnte.

Vielmehr stelle sich Benedikts Aufsatz ebenfalls den grundsätzlichen Problemen, die auch sein eigenes neues Buch analysierten, und weise diese "brillant" nach: Die Krise des Glaubens, die Krise des Priestertums, die Krise der Kirche sowie der christlichen Anthropologie – aber auch der "geistliche Zusammenbruch und die moralische Dekadenz des Westens mit all ihren Folgen".

In dem von CNA Deutsch am 11. April veröffentlichten Aufsatz beschreibt der emeritierte Papst die Auswirkungen der Sexuellen Revolution der 1960er, diagnostiziert einen davon unabhängigen Zusammenbruch der katholischen Morallehre, und benennt die Folgen auf die Ausbildung von Priestern und deren Leben, einschließlich der Bildung "homosexueller Klubs" an Priesterseminaren. 

Der Essay entstand vor dem Hintergrund des Krisengipfels über Missbrauch und Vertuschung, der vom 21. bis 24. Februar im Vatikan stattfand, und erschien mit Wissen und Zustimmung von Papst Franziskus.

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Als letzten Grund für die Skandale sexuellen Missbrauchs sowie dessen systematische Vertuschung durch Kardinäle und Bischöfe benennt Benedikt "die Abwesenheit Gottes", wie Sarah seine Zuhörer erinnerte.

Zur Rede stellte der Kardinal aus Guinea die Kritiker, die Benedikt beschuldigten, er mache die Sexuelle Revolution von 1968 ursächlich verantwortlich für die Krise. 

Manche der negativen Reaktionen "grenzten an intellektuelle Hysterie", so Sarah, und die "Erbärmlichkeit und Dummheit mehrerer Kommentare" habe ihn getroffen.

Die Krise habe viel früher begonnen, so Sarah, und betonte: "natürlich weiß Benedikt das". Schließlich nehme dieser auf die Revolution gerade deshalb in seinem Aufsatz Bezug: "um zu zeigen, dass die moralische Krise von 1968 bereits selbst Ausdruck und Symptom der Glaubenskrise war, und nicht die eigentliche Ursache".

Mit Blick darauf erinnerte Sarah in seiner Rede daran, dass Benedikt ja im zweiten Schritt die Abkehr von der naturrechtlichen Begründung der Moral analysiere, welche zu der Sicht geführt habe, "dass Moral allein von den Zwecken des menschlichen Handelns her zu bestimmen sei".

"Lauwarm und fast atheistisch"

Wie Benedikt weiter schreibt, gebe es aber "ein Minimum morale, das mit der Grundentscheidung des Glaubens unlöslich verknüpft ist und das verteidigt werden muß, wenn man Glauben nicht auf eine Theorie reduzieren will, sondern in seinem Anspruch an das konkrete Leben anerkennt".

Kardinal Sarah betonte, dass Benedikt hier zeige, wie grundsätzlich die Autorität der Kirche in Sachen Moral zur Frage stehe, und dass, "wer der Kirche in diesem Bereich eine letzte Lehrkompetenz abspricht", sie zu einem Schweigen gerade da zwinge, "wo es sich um die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge handelt", wie es Benedikt formuliert.

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Wer stattdessen so lebe, als ob Gott abwesend wäre, der lasse den Menschen "verzweifelt allein" mit seinen rein "subjektiven Absichten und seinem einsamen Bewusstsein" fuhr Kardinal Sarah fort.

Die Folge der falschen Moraltheologie sei also, dass sie Moral auf die "Motivationen und Absichten" des menschlichen Subjekts reduziere. Denn die Ablehnung des Naturrechts "führt zwangsläufig zur Ablehnung des Begriffs" der objektiven Moral. Dies wiederum führe zu der heute von Theologen vertretenen Ansicht, dass "es keine objektiven und an sich falschen Handlungen mehr" gebe, stellte der Kurienkardinal fest.

Wie Benedikt erinnerte Sarah daran, dass auch Papst Johannes Paul II. versuchte, diese Trend zu bekämpfen, vor allem mit seiner Enzyklika Veritatis Splendor des Jahres 1993.

Im Zentrum der "Krise der Moraltheologie" stehe eine Verweigerung des göttlichen Absoluten, sagte Kardinal Sarah. Er erinnerte an das berühmte Zitat des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski: "Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt".

Das erkenne man beispielsweise daran, dass die "1968er-Ideologie zum Teil versucht hat, die Pädophilie zu legitimieren", fuhr Kardinal Sarah fort. "Denn wenn ein moralischer Akt nur von den Absichten und Umständen eines Menschen abhängt, dann ist nichts definitiv unmöglich" oder "radikal gegen die Menschenwürde".

"Es ist die moralische Atmosphäre der Ablehnung Gottes, das geistliche Klima der Ablehnung der göttlichen Objektivität", bekräftigte Sarah, welche die Verharmlosung und weitere Ausbreitung sexuellen Fehlverhaltens bis hin zu sexuellen Gewaltverbrechen befördere.

Benedikt zeige klar, wie sich das auch und gerade auf Priester auswirke, so Sarah, etwa wenn er über "homosexuelle Clubs, die mehr oder weniger offen agierten" schreibe. Der Kardinal betonte: Nicht die sexuelle Revolution habe diese als letzte Ursache ausgelöst, sondern die Abkehr vom Glauben. Verheerend sei die Tatsache, dass Verantwortliche dabei zusahen, ohne zu handeln.

Die Gottvergessenheit öffne so auch dem Missbrauch die Tür, sagte Kardinal Sarah weiter. Es gebe "leider Priester, die praktisch nicht mehr glauben, kaum noch beten, und nicht mehr die Sakramente als eine lebendige Dimension ihres Priestertums leben".

"Sie sind lauwarm und fast atheistisch geworden", sagte er.

Die Kirche dürfe sich daher nicht über Fehlverhalten und Missbrauch wundern, sagte er. "Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt! Wenn Gott nicht konkret existiert, ist alles möglich!"

Wer Gott vergisst, der unterliegt auch schnell der Versuchung, vor der Benedikt deutlich warnt: Den Wunsch, die Kirche "neu" zu schaffen – eine Falle, in die man nicht wieder tappen dürfe, warnte Sarah.

Letztlich befinde sich nämlich nicht die Kirche in einer Krise: "Wir befinden uns in einer Krise", so Sarah. Und die Lösung dafür müsse sein, Gott wieder in den Mittelpunkt zu stellen, im eigenen Leben, in der Kirche, und auch in der Liturgie.

Kardinal Sarah schloss mit einem Dank an Benedikt, der seinem bischöflichen Motto als Cooperatores Veritatis, als "Mitarbeiter der Wahrheit", treu geblieben sei. "Ihre Worte trösten und beruhigen uns", sagte er. "Sie sind ein Zeuge, ein Märtyrer für die Wahrheit."

Dieser Bericht ist eine von CNA Deutsch übersetzte und redigierte Fassung eines Artikels des Vatikanisten und Romkorrespondenten Edward Pentin vom "National Catholic Register".

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