Aachen, 10 Juni, 2021 / 4:40 PM
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat auf den Brief des Papstes reagiert. In einer Mitteilung, die das Erzbistum am Donnerstagnachmittag verschickte, erklärte der Kardinal, er werde die Entscheidung des Pontifex akzeptieren, auch wenn er nicht "einfach wieder zur Tagesordnung" übergehen könne.
Dass Papst Franziskus das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx abgelehnt hat, hat für Überraschung gesorgt. Wie CNA Deutsch berichtete, veröffentlichte der Vatikan am heutigen Donnerstag ein Schreiben an den Erzbischof von München und Freising – hier der volle Wortlaut –, worin der Pontifex erklärte, es habe ihm gefallen, dass Marx "weiterhin gerne Priester und Bischof dieser Kirche" sei und "die nächsten Jahre" verstärkt der Seelsorge widmen und sich einsetzen für eine geistliche Erneuerung der Kirche wolle.
Das Rücktrittsangebot von Marx hatte in den letzten Tagen für Diskussionen und auch für allerhand Spekulationen gesorgt (lesen Sie hier eine Analyse). Am 4. Juni wurde bekannt, dass der Kardinal dem Papst seinen Amtsverzicht angeboten hat (CNA Deutsch hat berichtet).
In seiner persönlichen Erklärung gestand der Erzbischof – dem unter anderem Vertuschung von Missbrauch vorgeworfen wird –, er habe in den vergangenen Monaten immer wieder über einen Amtsverzicht nachgedacht.
Seine Bitte um Annahme des Rücktritts sei eine ganz persönliche Entscheidung. Wörtlich schrieb er:
"Ich möchte damit deutlich machen: Ich bin bereit, persönlich Verantwortung zu tragen, nicht nur für eigene Fehler, sondern für die Institution Kirche, die ich seit Jahrzehnten mitgestalte und mitpräge."
Marx schrieb, aus seiner Sicht sei "die Katholische Kirche an einem toten Punkt" angekommen. Mit seinem Amtsverzicht könne er "vielleicht" – bei aller Bescheidenheit – "ein persönliches Zeichen setzen".
Tatsächlich sind Vertuschungsvorwürfe gegen Marx in seiner Zeit als Bischof von Trier bislang nicht ausgeräumt worden, wie CNA Deutsch berichtete.
Kardinal Marx: "Wichtige Impulse"
In der heute veröffentlichten Stellungnahme schreibt der Erzbischof von München und Freising, dass ihn die Antwort des Heiligen Vaters "überrascht". "Ich habe nicht damit gerechnet, dass er so schnell reagieren würde und auch seine Entscheidung, dass ich meinen Dienst als Erzbischof von München und Freising weiter fortführen soll, habe ich so nicht erwartet", schreibt Marx wörtlich. Er sei "bewegt über die Ausführlichkeit und den sehr brüderlichen Ton seines Briefes". Marx wörtlich:
"Im Gehorsam akzeptiere ich seine Entscheidung, so wie ich es ihm versprochen habe. Das bedeutet für mich und unsere gemeinsame Arbeit im Erzbistum München und Freising aber auch, zu überlegen, welche neuen Wege wir gehen können – auch angesichts einer Geschichte des vielfältigen Versagens –, um das Evangelium zu verkünden und zu bezeugen. Dabei steht der Bischof nicht allein und ich werde in den nächsten Wochen darüber nachdenken, wie wir gemeinsam noch mehr zur Erneuerung der Kirche hier in unserem Erzbistum und insgesamt beitragen können; denn der Papst greift vieles auf, was ich in meinem Brief an ihn benannt habe, und gibt uns wichtige Impulse."
Es bleibe dabei, so Marx, weiter, dass er "persönlich Verantwortung tragen muss und auch eine 'institutionelle Verantwortung' habe, gerade angesichts der Betroffenen, deren Perspektive noch stärker einbezogen werden muss". Die Entscheidung des Papstes sei eine "große Herausforderung". Wörtlich: "Danach einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, kann nicht der Weg für mich und auch nicht für das Erzbistum sein."
Papst Franziskus: "Mach weiter - aber als Erzbischof"
Überraschenderweise hat Papst Franziskus nun nach nicht einmal einer Woche nach Bekanntwerden des Rücktrittsgesuches in einem Brief Marx zum Weitermachen aufgefordert. Wörtlich schreibt der Pontifex:
"Mach weiter, so wie Du es vorschlägst, aber als Erzbischof von München und Freising. Und wenn Du versucht bist, zu denken dass dieser Bischof von Rom (Dein Bruder, der Dich liebt), indem er Deine Sendung bestätigt und Deinen Rücktritt nicht annimmt, Dich nicht versteht, dann denk an das, was Petrus im Angesicht des Herrn hörte, als er ihm auf seine Weise seinen Verzicht anbot: 'Geh weg von mir, denn ich bin ein Sünder' – und die Antwort hörte 'Weide meine Schafe'."
Der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, ließ über einen Sprecher gegenüber der "KNA" mitteilein, dass er "erleichtert" darüber sei, dass Kardinal Marx weiter im Amt bleibe und er sich auf die Fortsetzung der Zusammenarbeit freue.
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Kardinal Müller kritisiert "Entscheidung auf der Theater-Bühne"
Kritik am öffentlich geäußerten Rücktrittsgesuch äußerte am Freitag der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Er sei verwundert, so Müller in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus", "dass man die Entscheidung auf eine Theater-Bühne gezogen hat und das Gottes Volk zu einem Publikum umfunktioniert", das entweder Beifall klatschen oder "Buh" rufen solle.
"Das widerspricht dem Sinn eines geistlichen Amtes für das Heil der Menschen," wird Müller im "Focus" zitiert.
ZdK-Präsident: "Da geht der Falsche"
Als einer der ersten reagierte der aktuelle Präsident des Zentralkomittees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg. "Was für ein eindrucksvoller Brief von Kardinal Marx", schreibt der Kirchen-Funktionär in einem Tweet, "und was für eine starke Antwort des Papstes! Lesenswert!"
Noch am vergangenen Freitag hatte der CDU-Politiker bestürzt auf die Ankündigung des Münchener Kardinals reagiert. "Da geht der Falsche", so Sternberg gegenüber der Deutschen Presseagentur (DPA).
Gegenüber der "Rheinischen Post" fügte Sternberg hinzu, dass mit Marx eine "ganz wichtige Persönlichkeit im deutschen Katholizismus" fehlen würde. "Was Marx in der Ökumene, beim Synodalen Weg und auch bei der Missbrauchsaufarbeitung geleistet hat, ist ganz wichtig gewesen", so der ZdK-Präsident.
Sternberg: "Angebliche Unzufriedenheit über 'Synodalen Weg' damit widerlegt"
Auch heute, nach Veröffentlichung des Papst-Briefes, sprach Sternberg erneut mit der "Rheinischen Post". Er sei "froh, dass Kardinal Marx uns als starke Stimme erhalten bleibt", wird der Funktionär dort zitiert. Das Schreiben aus Rom zeige gar, "dass die angebliche Unzufriedenheit über den 'Synodalen Weg' in Deutschland der vielschichtigen Realität nicht entspricht", behauptet Sternberg weiter.
Tatsächlich wird der "Synodale Weg" nicht nur innerhalb der Katholischen Kirche in Deutschland, sondern auch zunehmend von ausländischen Beobachtern kritisch betrachtet. Der australische Kardinal George Pell ("Wir brauchen keine weitere protestantische Kirche"), aber auch der deutsche Kardinal Walter Kasper zählen zu prominenten Kritikern dieses Prozesses.
Wie CNA Deutsch kürzlich berichtete, hat sich mittlerweile sogar eine Gruppe von deutschen Katholiken mit einem Dubium an die Glaubenskongregation gewandt mit der Frage, ob sich die Kirche in Deutschland aufgrund der - auch mithilfe des "Synodalen Weges" - vorangetriebenen Forderungen nach einer radikalen Änderung der Kirchenlehre nicht bereits im Schisma (also in einer Abspaltung von der Weltkirche) befinde.
Die Fußnote
Bemerkenswert ist auch eine Fußnote im kurzen Brief von Papst Franziskus. Darin schreibt der Pontifex:
"Es besteht die Gefahr, die Krise nicht anzunehmen und sich in Konflikte zu flüchten, eine Verhaltensweise, die damit endet, zu ersticken und jede mögliche Veränderung zu verhindern. Denn in der Krise steckt ein Keim der Hoffnung, im Konflikt hingegen ein Keim der Hoffnungslosigkeit."
Weiter schreibt der Heilige Vater an Kardinal Marx: "Das mea culpa angesichts so vieler Fehler in der Vergangenheit haben wir schon mehr als einmal ausgesprochen, in vielen Situationen, auch wenn wir persönlich an dieser historischen Phase nicht beteiligt waren".
Betroffener schreibt Brief an Marx mit schweren Vorwürfen: Zusammenhang mit Rücktrittsgesuch?
Erst kürzlich hatten verschiedene Medien - darunter auch das unter anderem vom Portal der Bischofskonferenz - Spekulationen darüber angestellt, ob der persönliche Brief eines Missbrauchsbetroffenen für Marx den Ausschlag gab, seinen Rücktritt anzubieten.
In einem Interview mit der "Saarbrücker Zeitung" berichtete Timo Ranzenberger, dass er 2006 den Pfarrer der Gemeinde Freisen wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt habe. Das Verfahren wurde wegen Verjährung eingestellt.
"Marx soll informiert gewesen sein, aber - trotz anderslautender Richtlinien der Bischofskonferenz - weder die Akten der Staatsanwaltschaft angefordert noch mit dem Betroffenen gesprochen haben", schreibt die "KNA".
Für das Opfer selbst ein unhaltbarer Zustand. In seinem Brief an Marx fordert Ranzenberger Verantwortungsbewusstsein und fragt:
"Können Sie überhaupt reinen Gewissens in den Spiegel schauen? Oder besteht dieser Spiegel aus massivem Panzerglas, damit er nicht zerspringt wenn Sie dort hineinschauen?"
Ranzenberger hat diesen Brief nach eigenen Angaben schon am 5. Mai 2021 per Einschreiben nach München geschickt, am 18. Mai 2021 postete er ihn auch auf Facebook. Eine Eingangsbestätigung vonseiten des Erzbistums erhielt er am 22. Mai. Ein Tag zuvor, am 21. Mai, hatte Kardinal Marx sein Rücktrittsgesuch nach Rom geschickt.
Am Freitag hatte Marx erklärt, sein Entschluss, dem Papst seinen Rücktritt anzubieten, sei bereits an Ostern (Anfang April) gefallen.
Artikel am 11. Juni 2021 um 09:33 Uhr ergänzt um Reaktion von Kardinal Müller.
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