Kardinal Marx reagiert auf Missbrauchsgutachten: "Bin erschüttert und beschämt"

Kardinal Reinhard Marx im Gespräch mit Journalisten am letzten Tag der Tagung zum Thema "Jugendschutz in der Kirche" am 24. Februar 2019 in Rom.
Daniel Ibanez / CNA Deutsch

Mit einer Stellungnahme hat der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, heute Abend auf die Veröffentlichung des Missbrauchsgutachtens reagiert, das auch ihn in zwei Fällen belastet. Er sei "erschüttert und beschämt", so der Erzbischof.

Zu den Vorwürfe gegen seine Person durch die Gutachter – bis hin zu der Kritik, rechtswidrig gehandelt zu haben – äußerte sich Marx jedoch nicht. Stattdessen betonte er die Rolle des umstrittenen "Synodalen Weges" als Mittel der Aufarbeitung der Missbrauchskrise.

Die Kanzlei "Westpfahl Spilker Wastl" hatte in einem Gutachten den Umgang der Verantwortlichen der Erzdiözese mit Zeitraum von 1945 bis 2019 untersucht und heute Vormittag einen entsprechenden Bericht vorgestellt. Wie CNA Deutsch berichtete, stand dabei das Verhalten des aktuellen Erzbischofs, Kardinal Reinhard Marx, sowie das des früheren Erzbischofs und heutigen emeritierten Papstes Benedikt XVI. im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit.

Kardinal Marx wurde im Gutachten neben zwei Fällen von Fehlverhaltens auch mangelndes Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit Missbrauchsfällen vorgeworfen. Bei der Vorstellung des Gutachtens war Marx nicht anwesend, was bei vielen Beobachtern Fragen aufwarf.

Kardinal Marx: "Erneuerung der Kirche nötig, auch mithilfe des 'Synodalen Wegs'"

In seiner Stellungnahme erklärte Marx am Donnerstagabend, dass sein erster Gedanke den Betroffenen sexuellen Missbrauchs gelte. "Ich bin erschüttert und beschämt", so der Kardinal. "Für mich haben die Begegnungen mit Betroffenen sexuellen Missbrauchs eine Wende bewirkt. Sie haben meine Wahrnehmung der Kirche verändert und verändern diese auch weiterhin."

Wörtlich sagte Marx:

"Wie ich immer wieder gesagt habe, fühle ich mich als Erzbischof von München und Freising mitverantwortlich für die Institution Kirche in den letzten Jahrzehnten. Als der amtierende Erzbischof bitte ich deshalb im Namen der Erzdiözese um Entschuldigung für das Leid, das Menschen im Raum der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten zugefügt wurde."

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Sexueller Missbrauch sei in der Kirche oft nicht ernst genommen worden, fuhr der Erzbischof fort, die Täter seien "oft nicht in rechter Weise zur Rechenschaft gezogen" worden. "Dass es ein Wegsehen von Verantwortlichen gegeben hat, wissen wir seit Jahren", so Marx, ohne auf sein eigenes Verhalten einzugehen.

Nun werde er das umfrangreiche Gutachten studieren und analysieren und "zeitnah" mit dem Betroffenenbeirat und der Kommission zur unabhängigen Aufarbeitung in den Austausch treten, versprach der Kardinal.

Marx verwies auf eine Pressekonferenz des Erzbistums, die heute in einer Woche stattfinden soll, um dort weitere Konsequenzen aus der Studie anzukündigen.

Die Missbrauchskrise sei eine "tiefe Erschütterung für die Kirche", erklärte Marx weiter.

Zur Aufarbeitung gehöre nun "die Orientierung an den Opfern des Missbrauchs", aber auch die "Aufarbeitung von falschen Machtstrukturen und Haltungen". Dabei betonte Marx seine Überzeugung, dass der umstrittene "Synodale Weg" dabei eine wichtige Rolle spiele. Wörtlich ließ Marx zu Protokoll geben:

"Aber es geht um mehr, es geht um die Erneuerung der Kirche, es geht um das, was wir auch im 'Synodalen Weg' in Deutschland versuchen und vorantreiben. Denn dieser 'Synodale Weg' ist ja ausgegangen von der MHG-Studie und ihren Analysen. Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs kann nicht getrennt werden vom Weg der Veränderung, der Erneuerung und der Reform der Kirche. Daran werden wir gemeinsam weiterarbeiten."

Tatsächlich ist die umstrittene Debattenveranstaltung aus Sicht ihrer zahlreichen Kritiker – darunter Papst Franziskus und zahlreiche Kardinäle, Bischöfe, Theologen und Laien –  dafür kein geeigneter Ort. 

Zum Abschluss seiner Erklärung sagte heute Kardinal Marx, dass "die Perspektive der Betroffenen" für ihn "jetzt im Mittelpunkt steht, auch um Schritte in die Zukunft zu gehen".

Vorwürfe gegen Marx: Mangelndes Verantwortungsbewusstsein

Was Marx heute verschwieg: Dem Erzbischof von München und Freising haben die Gutachter in der Pressekonferenz am Donnerstagvormittag zwei Fälle von Fehlverhalten vorgeworfen. Marx habe dabei keine Maßnahmen ergriffen, um auf die Missbrauchsopfer zuzugehen und ihnen weitere Hilfen zukommen zu lassen. Zudem habe er rechtswidrig gehandelt: Marx habe die Fälle nicht der Glaubenskongregation in Rom gemeldet.

Allerdings habe er, so die Gutachter, in seiner Stellungnahme betont, dass die Hauptverantwortung für die Bearbeitung solcher Fälle seiner Meinung nach jedoch beim Ordinariat und dem Generalvikariat läge. Sollten diese ihren Pflichten nicht nachgekommen sei, empfinde er dafür lediglich eine "moralische Verantwortung". 

Rechtsanwalt Pusch merkte dazu an, dass Marx betont habe, ihm als Erzbischof unterliege hauptsächlich die "Verkündigung des Wortes Gottes".

Diese EinschDätzung werde von den Gutachtern jedoch "nicht uneingeschränkt geteilt". Marx' Argumentation greife zu kurz, so der Anwalt, wenn er die Zuständigkeit und Verantwortlichkeit auf die ihm unterstellten Funktionsträger zuweise. Pusch wörtlich:

"Wann, wenn nicht im Fall des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger ist die Einordnung einer Thematik als 'Chefsache' zutreffen? Erst recht gilt dies, wenn die einschlägigen Regelwerke dem Diözesanbischof eine zentrale Rolle zuweisen. Dass Erzbischof Kardinal Marx diese wahrgenommen hätte, war für uns nicht festzustellen."

Vielmehr hätte es "gewisse Änderungen" im Umgang von Kardinal Marx mit Missbrauchsänderungen erst ab dem Jahr 2018 gegeben.

Betroffener: "Kardinal Marx sollte endlich zu seinem Wort stehen"

Marx steht nicht nur in seinem Amt als Verantwortlicher für das Erzbistum München und Freising in der Kritik, sondern soll auch in der Vergangenheit als Bischof von Trier 2006 seine Pflichten verletzt und riskiert haben, "einen möglichen Missbrauchstäter wieder als Seelsorger zu Kindern und Jugendlichen zu schicken", so zumindest der Vorwurf einer Recherche von "Christ & Welt".

Noch im vergangenem Juli hatte Münchener Erzbischof nicht sein eigenes Verhalten, sondern das "System Kirche" für den Missbrauchsskandal mit verantwortlich gemacht (CNA Deutsch hat berichtet). Für weltweites Aufsehen sorgte der Kardinal zudem im Juni, als er dem Papst seinen Rücktritt anbot, den dieser jedoch ablehnte, wie CNA Deutsch berichtete. Danach schloss Marx weiter einen Rücktrittsversuch nicht aus.

Stellungnahme des Erzbistums in einer Woche erwartet

Der amtierende Generalvikar der Erzdiözese, Christoph Klingan, hatte in einer ersten Erklärung mitgeteilt, dass das Erzbistum zum Inhalt des Gutachtens "jetzt noch nicht" Stellung nehmen könne, sondern es zunächst einmal lesen müsse. Dieses sei jedoch "ein wichtiger Baustein unserer Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch".

Klingan kündigte an, dass das Erzbistum München und Freising "nach erster Lektüre und Prüfung" in einer Pressekonferenz am kommenden Donnerstag, dem 27. Januar, um 11.00 Uhr in der Katholischen Akademie in München zum Gutachten Stellung nehmen werde.

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