München, 16 Juli, 2020 / 12:50 AM
Noch immer sind die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie auf das kirchliche Leben spürbar. Auch wenn die Feier der Heiligen Messe unter Auflagen wieder möglich ist, ist die Kirche von einer Rückkehr zur "Normalität" nach Ansicht vieler Katholiken noch weit entfernt. Andere haben eine neue "Normalität" mit digitalen Mitteln gefunden, die ihr Glaubensleben auch nach der Krise bereichern wird.
Der Erzbischof von München und Freising, Kardinal Reinhard Marx, hat gestern bei einem Gottesdienst im Münchner Liebfrauendom allen gedankt, die sich während der Corona-Pandemie für andere engagiert haben. "Wir alle haben gelernt, einen neuen Blick zu richten auf die Schwachen in dieser Gesellschaft", so Marx in seiner Predigt. Die Kirche sei trotz der vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen und des damit verbundenen "Social Distancing" dennoch "nah am Nächsten" geblieben.
Das gilt vor allem für katholische Familien und deren Freunde, für so manchen Pfarrer und vielerorts Nachbarschaften und Dorfgemeinschaften, die miteinander beteten, Andachten hielten, für einander im Alltag da waren.
Das gilt zweitens auch für die hauptberuflichen Helfer, denen Marx am Mittwoch dankte. Vor allem die Mitarbeiter der Caritas hätten sich bemüht, "Nähe spürbar zu machen und Social Distancing nicht zu einer Erfahrung der Entfernung werden zu lassen".
All dies sei erfolgt unter kaum vorhersehbaren, wechselnden Bedingungen, weil "praktisch in jeder Woche neue Vorschriften, neue Überlegungen und neue Hygieneorientierungen hinzukamen, die umgesetzt werden mussten" und eine "enorme Herausforderung" bedeutet hätten, betonte der Kardinal.
Die Alten, Einsamen und Benachteiligten dürften nicht vergessen werden, ebenso die Obdachlosen, Migranten oder Menschen mit Behinderung, so Marx weiter. Aber fühlten sich nicht viele, auch "ganz normale" Menschen, allein gelassen?
Wurden die Menschen im Stich gelassen?
Kritiker haben der Kirche vorgeworfen, sie habe die Menschen in der Pandemie erst einmal im Stich gelassen. Ein Vorwurf, den beispielsweise der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick in einem exklusiven Interview für CNA Deutsch so nicht stehen lassen wollte:
"Wir haben die Menschen nicht im Stich gelassen, sondern alle Möglichkeiten ausgeschöpft, mit ihnen in Kontakt zu sein und sie seelsorglich zu begleiten: durch die Livestream-Übertragungen der Gottesdienste und die verschiedenen Internetangebote, viele Telefonate und E-Mails. Es gab auch die Möglichkeit zu beichten in den Kirchen mit den nötigen Vorsichtsmaßnahmen; ebenso konnte die Kommunion individuell empfangen werden. Auch die Krankensalbung wurde gespendet."
Auch der Nationaldirektor von Missio Österreich, Pater Karl Wallner OCist, hat im CNA-Deutsch-Interview die Maßnahmen der Kirche verteidigt: "Wenn ich mich selber gefährden würde, wenn ich also so handle, dass ich mein eigenes Leben gefährde durch unzureichenden Schutz, dann wäre schon das eine Sünde. In dem Fall kommt aber dazu, dass ich in dem Augenblick, in dem ich mich infiziere, selbst zu einer tödlichen Gefahr für andere werde."
In einem Beitrag für CNA Deutsch warf Marianne Schlosser, die als Universitätsprofessorin für Theologie der Spiritualität an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien arbeitet und Trägerin des Ratzinger-Preises ist, die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf.
Die Kirche mache es sich zu einfach, wenn sie die Sakramentenspendung einstelle und dies als einen "Dienst der Nächstenliebe" darstelle mit Verweis auf die dadurch ermöglichte Verringerung des Ansteckungsrisikos, argumentiert die Theologin. Schlosser wörtlich:
"Ist derzeit das Risiko einer Infektion anlässlich der Sakramentenspendung größer als beim Kauf einer belegten Semmel in der Bäckerei (samt Dialog mit der Verkäuferin, mit MNS natürlich), oder eines Gelato am Eisstand? Ist das Risiko einer Dreiviertelstunde Verweildauer in einer Kirche (bei Mindestabstand von zwei Metern) größer als fünf Stunden in einem Mehr-Personen-Büro zu sitzen (Mindestabstand ein Meter)? Ist es ein verhältnismäßig zu großes Risiko, einen Menschen im Altenheim zu besuchen und die Krankenkommunion zu bringen, als ihm monatelange Isolation zuzumuten? Ist es angemessen, die Kranken-Sakramente auf die Sterbe-Situation zu beschränken – wenn die Krankensalbung doch idealerweise 'beizeiten' gespendet werden soll, solange der Kranke bei Bewusstsein ist, und dasselbe für die Krankenkommunion gilt (CIC c.922)?"
Kreativität in der Krise
Die Regeln einhalten und dennoch nahe bei den Menschen sein: Dass das möglich ist, zeigt etwa das Beispiel der Herz-Jesu-Pfarrei von Teublitz (Lkr. Schwandorf) im Bistum Regensburg. Der dortige Pfarrer Michael Hirmer ging mit dem Allerheiligsten in der Monstranz durch die Straßen seiner Gemeinde und hat unter Einhaltung der Hygienerichtlinien die Kommunion am Gartenzaun gespendet (CNA Deutsch hat berichtet). Auch aus anderen Gemeinden gibt es ähnliche Berichte.
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Das Erzbistum Köln bewies auch viel Kreativität im Umgang mit der Krise. Schon früh hatten sich die Bistumsleitung um Kardinal Rainer Maria Woelki um die Entwicklung eines Hygienekonzeptes bemüht, um unter Auflagen wieder Heilige Messen zuzulassen.
Das Maternushaus, in dem seit der Einrichtung der 24-Stunden-Anbetung dort durch Kardinal Joachim Meisner im November 2013 jeden Tag das Allerheiligste angebetet wird, war nicht nur in der Zeit, als andernorts noch Gottesdienst-Verbote herrschten, eine beliebte Anlaufstelle.
In einem Schreiben vom 31. März 2020 hatte der Kölner Generalvikar Markus Hofmann die Priester angewiesen, nach Möglichkeit auch die Sakramente weiter zugänglich zu machen, indem beispielsweise auch die Kirchen offen bleiben sollten. Die Krankensalbung, die in mancher Diözese zeitweise offenbar verboten wurde, sollte unter großem Aufwand möglich gemacht werden - auch und besonders bei Covid-19-Patienten.
Währenddessen versuchte die Bistumsleitung den eigenen Aufrufen zur Solidarität und Unterstützung konkrete Taten folgen zu lassen. Bereits Anfang April wurde bekannt, dass Kardinal Woelki die katholischen Kliniken seiner Diözese angewiesen hatte, Coronavirus-Patienten aus Italien aufzunehmen, da die Krankenhäuser dort teilweise überlastet waren.
Der Kardinal packte auch selbst mit an: Ab Ende März hatte Woelki das Kölner Priesterseminar zur Verfügung gestellt, um die Versorgung von Obdachlosen zu sichern, da diese wegen der Ausgangsbeschränkungen und Kontaktsperren in diesem Zeitraum auf den kaum frequentierten Straßen viel weniger Passanten um Unterstützung bitten konnten. Auch die Tafeln arbeiteten damals noch mit Einschränkungen, um ihre Helfer zu schützen. Bis diese wieder öffnen durften, sprang das Erzbistum ein, unterstützt von den Maltesern und freiwilligen Helfern.
Wochenlang konnten die Menschen, die auf der Straße leben, im Priesterseminar duschen und ein warmes Essen erhalten. Bis zu 150 Personen konnten in dieser Zeit versorgt werden, bis schließlich auch die anderen Anlaufstellen wieder öffneten.
Woelki hatte bereits bei der Aussetzung der Gottesdienste dazu aufgerufen, das karitative Engagement zu verstärken:
"Ich möchte aber zusätzlich auch daran erinnern, dass der Gottesdienst nur einer der drei Wesensvollzüge der Kirche ist. Den Gottesdienst kann man in extremen Situationen, wie jetzt, für eine gewisse Zeit aussetzen, oder, besser gesagt, in die Hauskirchen und ins persönliche Gebet verlegen. Aber den anderen Wesensvollzug, die Caritas oder Diakonie, darf man niemals aussetzen. Unsere Gemeinden sind nicht nur Gottesdienstgemeinden, sondern immer auch Caritasgemeinden und jeder getaufte Christ ist nicht nur zum Gottesdienst und zum Glaubensbekenntnis aufgefordert, sondern immer auch zur Caritas. Daher besteht die Caritas im Erzbistum Köln aus fast 2 Millionen Christinnen und Christen, von denen jetzt viele caritativ tätig werden können."
Selbstkritik in Österreich
Die österreichische Bischofskonferenz hat bereits Ende Mai das eigene Reagieren auf die Corona-Krise selbstkritisch unter die Lupe genommen (CNA Deutsch hat berichtet). Zwar seien die Regulierungen der liturgischen Praxis notwendig gewesen, dennoch hätten einige den Eindruck gehabt, "dass wir vorrangig mit unseren eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen wären".
Im Hirtenwort heißt es wörtlich:
"Die Coronavirus-Krise hat uns auch als Kirche überrascht und überfordert. Wie alle anderen Institutionen, mussten wir im Krisenbewältigungsbetrieb schrittweise lernen, was zu tun ist."
Wo der Eindruck entstanden sei, dass die Kirche sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt habe und dadurch die Sorge für die konkreten Anliegen der Menschen zu kurz gekommen ist, wollen die Bischöfe um Entschuldigung bitten.
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